Angst vor der Geburt: das hilft
Bist du nervös, wenn du an die bevorstehende Geburt denkst? Dann ist es wichtig, dass du alles, was sich in dir abspielt, einmal willkommen heisst. Also ja wirklich, willkommen heissen. Das kann dich im ersten Moment erstaunen, dass es gut sein soll, sich nervös zu fühlen. Die Idee ist nicht, dass die Nervosität bleiben muss, sondern dass du lernst gesund damit umzugehen. Es ist normal, sich auch mal nervös zu fühlen. Wenn du die Nervosität spürst, geht es darum, dass du diese Empfindung nicht unterdrückst oder ignorierst, sondern sie anerkennst.
Nervosität kann ein Anzeichen sein, dass eine Angst zu Grunde liegt. Angst kann sich unterschiedlich intensiv zeigen, von Nervosität bis hin zu Panik. Wenn es intensiv ist, dann ist es auch wichtig, dass du mit einer dir nahestehenden Person darüber sprechen kannst oder eine Fachperson aufsuchst, wenn es dich belastet. Die Angst kann auch unterschiedlich lange andauern. In der Regel befindet sich eine Angst vor der Geburt in einem normalen Rahmen und Ausmass. Gemäss wissenschaftlichen Studien haben 86% der Schwangeren keine krankhafte Angst vor der Geburt, welche eine therapeutische Behandlung bedarf (Fachausdruck: Tokophobie; Prävalenz nach Meta-analyse und systematische Reviews von O’Connell et al, 2017). In diesem Blogartikel schauen wir uns in erster Linie an, wie du eine normale Angst vor der Geburt abbauen kannst. Vielleicht gehen wir dazu einen Schritt zurück und definieren die Emotion Angst.
Was ist eigentlich Angst?
Gemäss dem weltberühmten Psychologen Paul Ekman ist Angst eine Emotion, welche Menschen in allen Kulturen auf der Welt kennen. Es ist eine sogenannte universelle Emotion. Wenn wir uns körperlich oder psychisch bedroht fühlen, entsteht Angst. Das interessante dabei ist, dass die Emotion auch entsteht, wenn wir uns etwas Bedrohliches einbilden - also nicht einer realen Bedrohung ausgesetzt sind, sondern etwas, das du dir im Kopf vorstellst. Kopfkino. Selbst dann fährt unser inneres Alarmsystem hoch. Wenn du einen Gedanken erkennst, der dir Angst einjagt, dann erkenne, dass es nur ein Gedanke ist. Du bist nicht dein Gedanke. Es ist EIN Gedanke. Der Mensch denkt jeden Tag tausende Dinge. Der Gedanke wird wieder weggehen wie Wolken im Winde vergehen. Tipp: Lass den Gedanken los. Am besten mit dem Ausatmen.
Denn, wenn du an diesem einen Gedanken festhältst, passiert vielleicht eine Kaskade von negativen Gedanken. In der Angst hat man oft die Tendenz, sich in weiteren katastrophisierenden Gedanken zu verhedern. Tipp: Versuche den Moment bewusst wahrzunehmen, wann du einen Gedanken hast, der die Angst vor der Geburt auslöst. Was ist in diesem Moment die Kehrseite? Frage dich, was wenn du die Geburt meisterst und alles gut läuft? Was wenn die Geburt zu einer der besten Erfahrungen in deinem Leben zählt? Was wenn die Geburt dich in einer wunderbaren Art ändern wird? Solche Fragen eröffnen neue Möglichkeiten und eine interessante Sicht, gerade wenn man in der Angst “sitzt”. Vielleicht sitzt du immer wieder in der Angst je näher der Geburtstermin rückt und beginnst dich zu fragen, was nützt die Angst und warum gibt es sie.
Warum haben wir eigentlich Angst?
Obwohl viele Menschen Angst als etwas Negatives sehen, hat Angst tatsächlich eine sehr wichtige Funktion. Sie möchte dich vor Gefahren schützen.
Wir können vor fast allem Angst haben: vor dem Fliegen, vor der Dunkelheit, vor Spinnen, vor Ablehnung oder eben auch davor, schwanger zu sein oder das Kind zu gebären.
Hier sind einige Tipps und Tricks für mehr Klarheit und Vertrauen, um die Angst vor der Geburt zu lösen.
Step 1: Was beinhaltet die Angst?
Nimm dir einen Moment Zeit und setze dich an einen bequemen Ort hin. Stelle dein Telefon auf stumm oder versetze es in den Flugmodus. Vielleicht holst du dir eine flauschige Decke, ein Glas Wasser und zündest eine Kerze an. Was auch immer für eine wohlige Atmosphäre beiträgt, ist jetzt gefragt. Atme ein paar Mal tief ein und aus. Halte einen Zettel bereit und notiere dir, was dir eigentlich genau Angst vor der Geburt bereitet. Wenn du jetzt weisst, dass du in diesem Augenblick sicher bist und dir nichts passieren kann, wenn du dir die Geburt vor Augen hältst, blicke einmal tiefer in diese Angst.
Welche Angst ist es eigentlich?
Ist es die Ungewissheit wie die Geburt ablaufen wird?
Ist es die Angst, die Geburtsschmerzen nicht auszuhalten? oder zu zusehen, wie deine Partnerin Schmerzen unter der Geburt hat?
Ist es die Angst, die Kontrolle zu verlieren?
Ist es die Angst, dass plötzlich medizinische Interventionen notwendig werden?
Ist es die Angst, dass sich die Geburt vom letzten Kind wiederholt?
…
Step 2: Ist es deine Angst?
Interessanterweise können wir auch lernen, Angst vor Dingen zu haben, die wir noch nie erlebt haben, aber uns jemand anderes erzählt hat. Die Angst schwappt auf dich über. Es ist als hätte dich die Emotion angesteckt. Gerade bei den Geburtsgeschichten gibt es sehr viele Varianten von Szenarien. Denke einmal darüber nach seit wann du diese Angst hast. Seit immer oder seit einem bestimmten Zeitpunkt?
Hast du möglicherweise Ängste entwickelt nachdem du eine Geburtsgeschichte gehört hast? Manchmal macht es auch Angst, was Ärzte und Ärztinnen oder die Gesellschaft über die Geburt und den Geburtsausgang erzählen. Tatsächlich ist es schwierig die Dauer der Geburt sowie den Verlauf und Ausgang einer Geburt vorherzusehen. Selbst in der technisch geprägten Medizin ist es nicht leicht, alle Faktoren während der Geburt zu überwachen und zu kontrollieren. Das kann dir bereits helfen, dich zu entspannden. Denn es geht darum, im Moment zu sein. Was auch immer die Situation ist, es gilt das JETZT. Auch wenn du bereits ein Kind oder mehrere Kinder geboren hast, kann die noch bevorstehende Geburt ganz anders verlaufen. Keine Geburt ist wie eine andere.
Notiere dir die Erkenntisse von Step 2 auf deinen Zettel.
Step 3: Verbinde dich mit dem Atem
Der Atem bringt dich zurück ins hier und jetzt. Du kannst bereits während der Schwangerschaft üben, achtsam zu atmen. So fällt es dir auch während der Geburt leichter, dich an die achtsame Atmung zu erinnern. Die Übung für Step 3 ist unten als Meditation verfügbar und du kannst sie zusammen mit deinem Partner bzw. deiner Partnerin durchführen. Diese Atemmeditation ist Teil der neun wöchigen Achtsamkeitskurses für schwangere Paare. Eine ehemalige schwangere Kursteilnehmerin hat mir zu diesem Kurs Folgendes rückgemeldet: “Der Kurs half und hilft mir immer noch mich zu zentralisieren, zurück zu meinem Anker dem Atem zu finden wenn mal alles aus dem Ruder läuft oder ich Schmerzen hatte / habe". Achtsames Atmen ist ein Werkzeug, das für alle Momente im Leben verwendet werden kann. Im Kurs zeige ich wie Achtsamkeit für die Geburt und Elternzeit geht. Studien haben gezeigt, dass Ängste während der Schwangerschaft mit den Übungen aus diesem Kurs abgebaut werden können (Mindful birthing foundation).
Notiere dir, was du während der 15 minütigen Meditation beobachten konntest.
Step 4: Dankbarkeit
Bedanke dich bei dir, dass du dir Zeit genommen hast, dich zu spüren und über dich nachzudenken. Es ist wichtig, sich auch dafür zu danken. Momente, wo man sich Zeit für sich nimmt, sind wichtig für innere Balance und stärken dich.
Du kannst Step 1-4 wieder zu einem späteren Zeitpunkt durchführen und deine Notizen von heute ergänzen. Die Übungen 5 und 6 geben dir Aufgaben und neue Impulse für die nächste Zeit mit.
Step 5: Atem im Alltag bewusst wahrnehmen
Jeder Moment ist ein Moment, um neu zu beginnen. Wann immer die Angst kommt, fokussiere auf deinen Atem. Auch im Alltag, wenn du gerade nicht meditierst. Zum Beispiel atme bewusst ein, während du die Zähne putzt oder den Schuhbändel zur Schlaufe formst. Diese Möglichkeiten erlauben dir, im hier und jezt neu anzukommen. Es geht darum, die Angst anzuerkennen und zu atmen.
Step 6: Konkrete Handlung setzen
In Schritt 1 bis 5 hast du dich mit dir und deinem Innenleben befasst. In der Angst läuft man manchmal Gefahr, vieles oder gar nichts zu unternehmen. Deswegen sind konkrete Handlungen für den Angstabbau ebenfalls zielführend. Ein Gefühl der Handhabbarkeit kannst du schaffen, wenn du dich aktiv über die Geburtssituation informierst. Beispielsweise kannst du zusammen mit deinem Partner bzw. Partnerin diskutieren, was euch am Geburtsort wichtig ist. Wenn ihr euch gemeinsam mit ein paar grundlegenden Fragen auseinander setzt, könnt ihr eure Erwartungen direkt einander mitteilen. Das fördert eine offene Kommunikation und stärkt das Fundament der Partnerschaft. Hier sind einige Beispielfragen, welche ihr thematisieren könnt:
Welche Vor- und Nachteile bieten die verschiedenen Geburtsorte Spital, Geburtshaus und Hausgeburt?
Ist es möglich, sich den Geburtsort vorstellen zu lassen, wenn die Geburt nicht zu Hause geplant ist? Evtl. gibt es Informationsveranstaltungen
Wenn ihr ein Spital oder ein Geburtshaus im Fokus habt, überlegt euch welche Praktiken und Richtlinien für euch passend sind? Es gibt von Spital zu Spital und von Geburtshaus zu Geburtshaus Unterschiede.
Wenn ihr eine Hausgeburt einplant, überlegt euch auch, welche Vorbereitungen ihr im Raum treffen dürft, damit ein Wohlgefühl und Sicherheit entsteht.
Welche Wünsche habt ihr, wenn es auch einmal brenzlig werden sollte?
Wie soll in diesen Situationen reagiert werden?
Wer soll bei der Geburt anwesend sein? Niemand oder jemand aus Familie oder Freundeskreis oder möglichst alle?
Welche Form der praktischen Unterstützung könnt ihr in den ersten Tagen nach der Geburt im Voraus organisieren? Beispielsweise Untersützung im Haushalt, Mahlzeiten, andere Geschwisterkinder, Haustiere, Garten…
Nach dem Gespräch kann es hilfreich sein, zu reflektieren, wie das Gespräch für euch verlaufen ist. Welche offenen Fragen bestehen bleiben und wo ihr bereits Klarheit gefunden habt. Es ist auch wichtig zu sehen, wo ihr unsicher seid und selber noch weitere Informationen bei Fachpersonen einholen möchtet. Eure Hebamme oder Doula sind sicherlich eine gute Anlaufstelle für offene Fragen zur Geburt.
Die Vorbereitung als Paar auf die Geburt ist ein Prozess und es ist nicht ein Meeting, das sich nach einem Mal abhacken lässt. Tipp: Bleibt offen und neugierig, denn es ist eine Phase der Veränderung, wo ihr auch euch selber neu entdeckt. Ihr seid am lernen. Selbst wenn es die zweite oder dritte Geburt ist.
Obwohl es hilfreich sein kann, sich mit der Geburtssituation sehr konkret auseinander zu setzen, ist es empfehlenswert, sich nicht zu fest an einen Geburtsplan zu klammern. Wichtig zu verstehen ist, dass auch das Kind den Geburtsverlauf mitprägt. Obwohl die Geburtsstatistiken in der Schweiz zeigen, dass die allermeisten Geburten gut enden, ist es einfach ein Fakt, dass kein Geburtsverlauf und -ausgang vollständig vorhergesagt werden kann. Das Nichtwissen ist Teil der Geburt und auch eine Grundhaltung der Achtsamkeit. Der Moment jetzt ist das, was ist. Es braucht eine gewisse Flexibilität und Offenheit, damit du dich auch auf den Moment der Geburt einlassen kannst. Gleichzeitig ist es wichtig, dass du deinem Urvertrauen Aufmerksamkeit schenkst. Es ist sicherlich beruhigend zu lesen, dass unter der Geburt innere Kräfte wirken werden, welche wir sonst im Alltag nie so erleben und uns durch diesen Prozess helfen.
Literatur
O’Connell, M.A., Leahy-Warren, P., Lhashan, A.S., Kenny, L.C. O’Neill, S.M., 2017. Worldwirde prevalence of tocophobia in pregnant women: systematic review and meta-analysis. Acta Obstet. Gynecol. Sacnd. 96 (8), 907-920.
www.paulekman.com/universal-emotions/what-is-fear/
Ganze Studienliste zum Kurs MBCP: https://www.mindfulbirthing.org/research